16.9.11

Joschka Fischer "I'm not convinced"

Joschka Fischers zweiter Band der Erinnerungen an die Regierungszeit der rot-grünen Koalition und an seine Zeit als Außenminister steht unter der Überschrift "I'm not convinced. Der Irakkrieg und die rot-grünen Jahre."
Damit erinnert er an seinen bekannten Ausspruch bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2003, wo er darauf hinwies, dass die Argumente für einen Krieg gegen den Irak ihn nicht überzeugten (hier ein Mitschnitt).

Seine Erinnerungen sind wieder sehr lebendig dargestellt. Freilich hätte man sich gewünscht, dass er seinem Lektor etwas mehr Freiheit gelassen hätte bei der Beseitigung von grammatischen Schludrigkeiten (Adverbien statt Adjektive, seitenweise Konjunktiv II, wo Konjunktiv I stehen müsste). Doch sprachliche Korrektheit ist nicht das, worauf es bei einem solchen Buch ankommt.

Mir scheint interessanter, was er über Geschichte sagt. Er erklärt in Anklang an Fukuyamas "Ende der Geschichte" , es gebe in der westlichen Welt eine "postmoderne Form der Geschichte" und führt dazu aus:
"Geschichte begegnet uns heute, in den reichen und saturierten Gesellschaften des Westens, kaum noch in der klassischen Form, d.h. als Krieg, Revolution [...]. Heute dominiert daher die postmoderne Form der Geschichte, d.h. historische Zäsuren und Brüche nehmen keine gewaltsame Form mehr an [...] und können daher in der Tagespolitik alltagstauglich verdrängt werden." (S.354)
Mit Verlaub, Herr Fischer, I'm not convinced. Die "reichen und saturierten Gesellschaften des Westens" sind sehr wohl noch in Kriege verwickelt. Das sollte der Außenminister, der den ersten deutschen Angriffskrieg nach 1945 mit zu verantworten hatte (den Nato-Angriff auf Serbien) am besten wissen. Oder zählen bei ihm die Angreifer nicht zu den Kriegsbeteiligten, sondern nur die Länder, auf deren Boden der Krieg geführt wird?
So grotesk diese Logik erscheint, sein energisches Eintreten für eine Beteiligung Deutschlands am Nato-Einsatz gegen Libyen macht einen glauben, dass er tatsächlich diese Ansicht vertritt.
Darf ich mit den Worten von Maritta Tkalec (FR vom 16.9.11) daran erinnern:
"dass seit März 50 000 Menschen starben in einer Aktion, die angeblich dem Schutz von Menschenleben diente?"
Daran, dass die mit Gadhafi abgeschlossenen Verträge über Erdöl- und Erdgaslieferungen sofort wieder aufgegriffen wurden?
Und - jetzt wieder mit Tkalecs Worten: "Derweil errichtet die neue Macht ein Regime auf Scharia-Basis. Adieu Frauen- und andere Menschenrechte. Für deren Durchsetzung fallen anderswo Bomben."

Wenn Fischer das "alltagstauglich verdrängt", tut das seiner psychischen Gesundheit sicher gut.
Nur sollte er seine Verdrängungen nicht als Basis für politisches Handeln empfehlen.

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