28.9.11

Wir werden bleiben wollen, wenn wir gehen dürfen

Stadtteilarbeit für die evangelische Kirche in Rostock, wie Joachim Gauck sie schildert, erinnert mich an die Stadtteilarbeit Obamas in Chikago. Wie sollte sie es auch nicht. Dennoch macht es einen Unterschied, ob man Berichte aus der Arbeit der evangelischen Kirche in der DDR aufnimmt in einer Zeit, wo die Unterdrückung noch völlig präsent war, oder heute, wo die Rolle, die die Kirche für die friedliche Umwälzung gespielt hat, ihr Bild bestimmt.
Wie weit war der Weg dorthin!

Als ich nach Evershagen zog, konnten sich die wenigen Christen nicht einmal im eigenen Stadtteil treffen. Es gab kein Gotteshaus noch irgendwelche Gemeinderäume, auch keinen Kirchgemeinderat und keine Mitarbeiter. In einer solchen Terra incognita die Arbeit aufzunehmen, erforderte Entschlossenheit, Offenheit und Durchhaltekraft. [...]
Wie andere junge Pastoren in Mecklenburg orientierte ich mich an Heinrich Rathke, der später unser Landesbischof werden sollte. Heinrich Rathke hatte bereits Anfang der sechziger Jahre als Pfarrer in einem Mecklenburger Neubaugebiet Erfahrungen gesammelt — in der Südstadt, der ersten Rostocker Großwohn­siedlung im Plattenbaustil mit über 20000 Bewohnern. An alles war damals gedacht worden — Krankenhaus, Kino, Post, Theater und so fort -, nur nicht an eine Kirche. Als erstes galt es also, die evangelischen Christen ausfindig zu machen. Rathke ging von Haus zu Haus, von Stockwerk zu Stockwerk, klingelte wahllos, meist abends. Zu Gottesdiensten konnte er aber nur in eine der weit entfernten Stadtkirchen einladen. Als alle Anträge bei der Stadt Rostock zum Bau einer eigenen Kirche fehlschlugen, stellte Rathke kurz entschlossen einen Zirkuswagen auf ein Privatge­lände am Rande des Neubauviertels. Ein schlichtes Holzkreuz an der Wand und ein schlichter Tisch als Altar verwandelten ihn in emen Andachtsraum. Am 12. Mai 1963 fand dort der erste Got­tesdienst mit 53 Gläubigen statt.

So berichtet Joachim Gauck in seinen Erinnerungen "Winter im Sommer - Frühling im Herbst" auf Seite 125.
vgl. dazu eine Leseprobe der Seiten 1-18

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