19.3.19

Martin Lindner: "Die Bildung und das Netz" mit einigen aktuellen Anmerkungen

Mit dem Netz hat sich nicht nur der Zugang zu Bildung verändert, "sondern auch das Wissen selbst: Im Netz und mit dem Netz entstehen neuartige Wissensarchitekturen, weil die digitalisierten Bausteine ganz anders verknüpft und verarbeitet werden können. Die Fachleute sind jetzt nicht mehr entrückte Autoritäten, die sich in perfekt formulierten Publikationen äußern, sondern Menschen, denen man online quasi beim Denken zusehen kann. Und auch die Peer-Netzwerke sind von ganz anderer Qualität als früher.
Das bedeutet tatsächlich einen fundamentalen Bruch mit den Bedingungen, unter denen früher Bildung stattfand, auch wenn die sichtbaren Auswirkungen bislang noch gar nicht so dramatisch sind. [...]
Die Idee eines verpflichtenden Wissenskanons ist verloren. Die Autoritäten büßen viel von ihrer Richtlinienkompetenz ein. Die Kommunikationen verzetteln sich. Und je mehr man sich in Online-Netzwerken aufhält, desto weniger ist man auf den Zusammenschluss mit den Leuten angewiesen, die leibhaftig im selben Raum sind." (Martin Lindner: Die Bildung und das Netz, Kapitel 16: Eine sehr kurze Bildungsgeschichte - im Kindle irgendwo bei 34%.) 
Die Redaktionsversion des Textes der Teile 1 bis 7 findet sich unter diesem Link:
https://docs.google.com/document/d/1nPxUsEccO8MyYP4sveYLVSV-YLjLEQ7tX5GU07fIPDo/edit#
[Wenn ich gleich zum Inhaltsverzeichnis gegangen wäre, um das genaue Kapitel, aus dem sie stammt, anzugeben, hätte ich es mir sehr erschwert, die genaue Stelle, wiederzufinden, von der ab ich weiterlesen wollte (eine Besonderheit elektronischer Bücher).] 

Meine Annäherung an Martin Lindners Text geschieht in diesem Blogartikel etwas ungewöhnlich. In anderen werde ich versuchen, Stellen, die mir wichtig erscheinen, weitestgehend unkommentiert vorzustellen. Dazu habe ich von ihm die Erlaubnis bekommen.

Hier eine kurze Andeutung, wie mich diese Textstelle aus dem Buch erreicht hat und wie sie wieder ins Netz gelangt ist:
Ich habe das Buch vor der Erstellung subskribiert (heißt heute: "per crowdfunding schwarmfinanziert"), bei einem ZUM-Treffen im Druckexemplar gelesen, den Verfasser bei passender Gelegenheit gebeten, es mir zur Verfügung zu stellen, es mir im azw3-Format aus dem Netz heruntergeladen, gerätselt, wie ich es in meinen Kindle hineinbekomme, in gutefrage.net angefragt, eine richtige Antwort bekommen (auch wenn der Antwortende das azw3-Format nicht kannte), aber mit der Antwort nichts anfangen können. (Was mein Problem war, schildere ich dort.) Schließlich habe ich es aber geschafft, es wenigstens in amazondrive unterzubringen. Meine Vorstellung: Wenn es bei amazon ist, ist es nicht mehr weit bis zum Kindle.

Im drive konnte ich es freilich wegen des Formats nicht lesen. Das wollte ich auch gar nicht, es sollte ja im Kindle sein. Hätte ich jetzt jemanden gehabt, der "leibhaftig im selben Raum" gewesen wäre, wäre ich über einen besseren Weg informiert worden. So habe ich einen hochqualifizierten Informatiker bemüht, der einen Kindlebesitzer, mit dem er "im selben Raum" war, befragt und darauf mir kluge Ratschläge gegeben hat.
Unfähig, die Ratschläge zu deuten, habe ich den Verfasser des Buches bemüht, ihm mein Problem aus meiner Sicht geschildert, was er, da er nicht "leibhaftig im selben Raum" war, nicht recht deuten konnte.
Genug, offenkundig habe ich den Text dann irgendwie im Kindle lesen können.
Sogleich habe ich dort meine Markierungen gesetzt, um es von dort wie üblich auf den Computer zu übertragen. Der aber erkannte nicht, dass das Buch wirklich im Kindle war, erkannte auch meine Markierungen nicht und konnte mir nicht den Text anzeigen. 
Alles kein Problem. Ich lese die markierte Stelle meinem iphone vor, das konfiguriert die Mail, die mein Computer empfängt. Die kopiere ich in diesen Blogartikel, korrigiere die Verständnisfehler der Spracherkennung und schon steht Martin Lindners Textpassage im Netz. Freilich nur, wenn ich sie rechtzeitig gespeichert habe. 
Wie oft war diese Textpassage auf dem Weg vom Verfasser zu mir und von mir zum Blog und vom Blog zu Ihnen im Netz?

Ich stimme Martin Lindner durchaus zu, dass man die Gedankengänge eines Wissenschaftlers, der häufig twittert, gelegentlich bei ihrer Entstehung mitverfolgen kann. Und das weiß ich sehr zu schätzen. Zudem ist es über das Netz leichter möglich, sich auf einer Art Augenhöhe zu fühlen. [Beispiel: Twittergespräch über Wissenschaft - Ist hier erkennbar, wer Professor ist, wer Doktor, wer gar kein ausgewiesener Wissenschaftler?] 
Kurz gesagt, wir würden uns duzen, auch wenn wir nie zusammen "im selben Raum" gewesen wären. Aber von der Augenhöhe bleibt wenig übrig, wenn der eine sich im Netz nicht wie ein digital native, sondern wie ein Wissenschaftler bewegt, der seine Arbeitstexte so routiniert aufspürt, wie er es zuvor in Seminar- und Universitätsbibliothek, über Fernleihe und im Archiv getan hat. 

Dennoch: Greta Thunberg kann mit großer Autorität von den Politikern fordern: "Ihr müsst mehr für die Abschwächung des Klimawandels tun!" und gleichzeitig auf die Frage, was geschehen soll, antworten: "Das weiß ich nicht". 
Denn ihr ist schon lange bekannt, dass Hunderte von Wissenschaftlern sich über wesentliche Schritte einig sind (vielleicht auch Tausende oder Millionen). Und in der Wikipedia findet sich (sogar in 133 Sprachen) zu Klimaschutz Grundlegendes zum Problem in einer für eine intelligente 16-Jährige durchaus verständlichen Sprache. Und die Qualifizierung als exzellenter Artikel bedeutet inzwischen, dass das Gebotene inzwischen höheren Ansprüchen genügt als früheres Lexikonwissen.*

Es gibt andere Hürden, aber dass Politiker deshalb, weil sie sich auf das Fachwissen ihres Ministeriums stützen können, sich über ihr Aufgabengebiet qualifizierter äußern könnten als Schüler, wird ihnen schon länger kaum noch abgenommen. 
Da brauchte es nicht Seehofer, der Migration als "Mutter aller Probleme" bezeichnete, als ob Klimawandel und Migration nichts miteinander zu tun hätten.
Und auch keines Scheuer, der als Verkehrsminister eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen als "gegen jeden Menschenverstand" bezeichnete, obwohl die überwältigende Mehrheit der Länder Europas eine solche Beschränkung eingeführt hat. Und auch keines Trump. 

Und die Aussage von 2017 "je mehr man sich in Online-Netzwerken aufhält, desto weniger ist man auf den Zusammenschluss mit den Leuten angewiesen, die leibhaftig im selben Raum sind." ist nicht erst durch den Schülerstreik in rund 130 Ländern bewiesen, bei dem z.B. in einem Land nur 4 streikende Schüler waren, die aber die Nachricht von ihrem Streik international bekannt machen konnten. 

Da mag ich in den vorhergehenden Absätzen noch so oft betont haben, dass Anwesenheit "im selben Raum" für Verständigung oft zentral ist. 

* Ich persönlich halte übrigens den Bericht des Club of Rome von 2012 "2052 ..." für politisch noch informativer* und besonders zusammen mit Barack Obamas Satz: "Als Politiker kann ich Ihnen eines versichern: Politische Führer werden keine Risiken eingehen, solange die Menschen dies nicht von ihnen verlangen." (SZ, 5.10.13) Denn der bedeutet ja, dass das Wichtigste ist, dass Politiker eben nicht nur von Vertretern der Wirtschaft gesagt bekommen, was sie tun sollen. 

* Sehr eindrucksvoll dazu die 20 Ratschläge

Zur Fortsetzung meines Kommentars zur Lektüre des Buches (Entwurfsstadium)

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