11.3.19

Eine Rede, die ich nicht halten werde

Liebe streikenden Schülerinnen und Schüler,

ich bin euch dankbar, weil ihr mich aus meiner Resignation herausgerissen habt.
Nicht nur Greta, sondern ihr alle geht auf dem Weg voran, den allein zu gehen ich mich nicht getraut habe. Danke!

Freilich, ich bedaure euch auch. Ihr müsst damit fertig werden, dass die Umweltbewegung, die vor knapp 60 Jahren entstand, nur so wenig erreicht hat. Zwar nahmen 1972 an der erste  Weltumweltkonferenz in Stockholm bereits 113 Staaten teil, aber es dauerte 20 Jahre, bis es zur zweiten kam (1992 in Rio) und als endlich 2015 in Weltklimakonferenz in Paris relativ konkrete Beschlüsse gefasst wurden, sprangen die USA gleich und Deutschland - nur scheinbar ein Vorreiter in der Umweltbewegung - wenig später ab.
Was euch erwartet, weil die Generationen vor euch nicht genügend voran kamen, ist besorgniserregend. Jørgen Randers, der sich intensiv mit den Zukunftsaussichten für 2052 befasst hat, gibt deswegen heutigen Eltern den Rat: "Erziehen Sie ihre Kinder nicht zu Naturliebhabern." Denn wenn Sie das täten, erhöhten Sie "dadurch die Chance, dass Ihr Kind unglücklich wird". 
2052 werden nämlich nur noch wenige mit der Natur in Berührung kommen können. 

Aber ich sehe auch die neuen Chancen, die euer Weg euch eröffnet:
Je stärker sich die Klimaerwärmung bemerkbar macht, desto deutlicher wird nämlich, dass diese Entwicklung die ganze Erde betrifft und dass es daraus kein Entkommen gibt. Insofern hat eure Generation die Chance zu lernen, dass es ein gemeinsames Interesse eurer Generation ist, die Auswirkungen der Erwärmung so gering wie möglich zu halten. Und zwar habt ihr die Chance, das zu tun, bevor ihr davor resigniert. 
Natürlich gab es immer wieder Anläufe, weltweit ein lebenswerteres Leben zu gestalten, die gescheitert sind. Aber gerade in den letzten Jahrzehnten gab es Entwicklungen, die Anlass zur Hoffnung geben*
Die Blockbildung in Ost und West ist zusammengebrochen, auch ohne dass es darüber eine weltweite Verständigung gab. Einseitige Schritte haben in Umkehrung der Domino-Theorie immer mehr Staaten Freiheit gebracht. 
In Deutschland haben wir erlebt, dass ein Kanzler der CDU, die energisch die Annäherung an den Osten bekämpft hatte, diese Annäherung bis zur Deutschen Einigung vorantrieb. 
Die Fehlleistung eines Politikers führte zum glücklichen Fall der Mauer.
Wer sagt denn, dass heutige oder zukünftige Politiker keine Fehler mehr machen, die gute Folgen haben können?!
Durch die Digitalisierung sind internationale Kontakte ungeheuer erleichtert. Gute Ideen können sich schneller verbreiten als je. Greta Thunberg ist beileibe nicht die einzige Jugendliche, die einen mutigen Plan gefasst und verwirklicht hat. 

Und deshalb brauch ich diese Rede nicht zu halten.
Die heutige Jugendgeneration kann selbst ihre Interessen artikulieren. 
Und sie wird kein Blatt vor den Mund nehmen.
Tweet von Greta

* Entwicklungen mit Anlass zur Hoffnung 

Keine Kommentare: