23.4.09

Wikipedia, Wikisource, Google

Am Tag des Buches sollte man es aussprechen: Der Tag, an dem sich der Autor von seinem Mäzen befreien konnte, weil er mit seinem Schreiben Geld verdienen konnte, war ein guter Tag. (Als Fontanefan denke ich nicht nur an Schiller, der seinem Fürsten in die Freiheit entkam, sondern auch an Fontane, der die Sekretärsstelle aufgeben und sich ganz aufs Romaneschreiben konzentrieren konnte.)
Der Tag, an dem die letzte Schule sich ihren Sponsor suchen muss, weil der Staat Bildung total privatisiert hat, hat mehr als Orwellsche Ausmaße.

Gegenwärtig ist noch ein anderer Vorgang aktueller: die Vergesellschaftung von Wissen. Wikipedia hat - in Nachahmung der Open-Source-Projekte bei der Computersoftware - als erste Institution in großem Umfang mit der Produktion freien Wissens begonnen. Wikisource wurde als Folge"produkt" entwickelt, eine Institution, die Texte über Internet frei zugänglich macht.
Scheinbar auf derselben Linie liegt Google mit seinem Projekt, sämtliche Bücher zu digitalisieren und über das Netz - voläufig in Auszügen - zur Verfügung zu stellen.

Für mich ist es ein ungeheurer Unterschied. Bei Wikipedia entscheiden sich Autoren freiwillig dafür, kostenlos vorhandenes Wissen konzentriert und gut geordnet im Netz zu präsentieren. Wikisource stellt - wegen Auslaufen des Copyrights - gemeinfrei gewordene Werke in seriösen Ausgaben Benutzern im Internet zur Verfügung. Google droht an, alle Autoren gegen eine Entschädigung von 60 Euro pro Werk zu enteignen. (Die angekündigten Tantiemen aus Werbung ließen sich seitens eines Monopolisten auf beliebig niedrige Prozentsätze drücken.)
Wenn wir wieder in die Zeit des Mäzenatentums zurückkehren, wo Ackermann und Zumwinkel entscheiden, ob Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger das sorgenfreie Überleben gesichert werden soll oder nicht, so wie Maecenas und Augustus es sich mit Horaz überlegt haben, so sehe ich persönlich nicht ein goldenes Zeitalter der Literatur voraus.
Doch das wäre zu diskutieren. Als Anregungen dazu empfehle ich aus der ZEIT vom 23.4.09 Susanne Gaschkes Beitrag zu "Diebstahl geistigen Eigentums im Internet" auf Seite 1 wie den Heidelberger Appell, der in dieselbe Richtung zielt, und andererseits Jürgen Neffes fast schmerzfreien Abschied vom Gutenbergzeitalter auf Seite 51 sowie den Blogbritrag des Wikipedianers Thomas Schindler, der Googles Vorstoß positiv f´gegenüber steht.

11 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich respektiere Ihre Meinung und sie scheint von allen Leuten geteilt zu werden, die für das Schreiben bezahlt werden. Aber was ist mit den anderen? Menschen, die für kleine und arme Zielgruppen schreiben. Menschen, die mit ihrer Meinung keinen Massenmarkt bedienen?
Ich glaube was wir hier erleben ist eine Graswurzelrevolution. Freie Information. Die Frage ist nun: "Wie können wir es jedem Menschen, der schreiben will um des Schreibens willen, ermöglichen zu schreiben". Anstatt des alten Tantiemen Modells, das mit allen Schwächen des Kapitalismus daherkommt fasziniert mich das bedingungslose Grundgehalt. Schreiber müssen hier weder einen Mäzen finden, noch einen Verlag um das Mäzenatentum zu sozialisieren. Schreiber können hier einfach schreiben, weil sie verspüren etwas schreiben zu müssen. Vielleicht ist dieses aktuelle Ende des Bezahlbuches der Anfang von etwas großartigem Neuen?
Noch ein weiterer Vorteil: Schreiber können in dem neuen Modell Richtungswechsel vollziehen, die ihnen heute unmöglich sind, da sie bei drastischen Richtungswechseln ihre ganze Leserschaft verlieren könnten - und das kann sich heute keiner "leisten".

Walter Böhme hat gesagt…

"Wie können wir es jedem Menschen, der schreiben will um des Schreibens willen, ermöglichen zu schreiben?"

Die Frage ist beantwortet. Über Blogs ist es jedem, der eine E-Mailadresse hat, möglich, eine Texte zu veröffentlichen.
Die Wikis erlauben Zusammenarbeit zur Erstellung umfangreicher Wissensspeicher. Insofern sind wir Schreiber in einer ungewöhnlich günstigen Situation. Wenn man bedenkt, dass unsere Texte in Sekundenschnelle nach ihrer Veröffentlichung in der ganzen Welt gelesen werden können, sogar in der günstigsten Situation der Weltgeschichte.
Das Problem ist aber: Wie bekommen wir Autoren wie Thomas Mann, Daniel Kehlmann, Uwe Tellkamp, die ihren Lebensunterhalt auch mit anderer Arbeit verdienen könnten, dazu, sich ganz aufs Schreiben zu konzentrieren. Und wie sorgen wir dafür, dass ihre Arbeiten die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen?
Google geht daran, die bestehende Lösung zu zerstören, ohne eine neue an ihre Stelle zu setzen.

Anonym hat gesagt…

Vielleicht macht aber Google auch den richtigen Job - so wie alle Neuerungen (angefangen vom Rad). Bezahlte Arbeitsplätze werden vernichtet. Das ist doch gut, wenn immer mehr Arbeit verschwindet und trotzdem die Wertschöpfung gesteigert wird. Oder sind wir da uneins?

Walter Böhme hat gesagt…

"Das ist doch gut, wenn immer mehr Arbeit verschwindet und trotzdem die Wertschöpfung gesteigert wird. Oder sind wir da uneins?"
Selbstverständlich kann ich da nicht zustimmen. Bei einer solchen Entwicklung würde die Arbeitslosigkeit immer weiter zunehmen. Statt dessen müsste radikal dahingehend umgesteuert werden, dass nicht die Beseitigung von Arbeitsplätzen, sondern die Einsparung von Energie und Rohstoffen, insbesondere von Wasser, die höchste Priorität gewinnt.
Alles andere wäre unverantwortlich gegenüber den heutigen Jugendlichen.

Anonym hat gesagt…

Wahrscheinlich werde ich Lehrer nie verstehen. Ich glaube wir wären in einer Welt, wo nur noch ein paar kreative Arbeiten von Menschen erledigt werden müssten und der Rest würde von Maschinen erledigt viel besser dran. Natürlich nur unter der Vorbedingung des bedingungsloses Grundeinkommens.
Jeder Mensch würde sich dann auf das konzentrieren können, was er gerne macht und so könnte sich ein jeder Selbst verwirklichen und alle könnten zur Kultur und zum Entwicklung von umweltschonenderen Verfahren beitragen - ohne um ihre Existenz besorgt zu sein.
Ich sehe den Fehler in diesem System nicht.

Walter Böhme hat gesagt…

Als Antwort zwei Links:
http://fontanefan2.blogspot.com/2008/07/bedingungsloses-grundeinkommen.html
http://fontanefan2.blogspot.com/2008/07/wie-kann-man-sinnvoll-mit-der-abnahme.html
Die dortigen Texte sind allerdings vermutlich nicht einleuchtend, wenn du nicht den angegebenen Links folgst.

Aber auch dann brauchen sie dir natürlich nicht einzuleuchten. (Übrigens, jetzt, wo wir und schon so viel untereinander ausgetauscht haben, ist es höchste Zeit für das Blogger-Du.)

Anonym hat gesagt…

(Da Du so respektvoll mit meinen Einwänden eingehst können wir ruhig das Blogger-Du anwenden :) )

Hmm.. ich bin dem ganzen nachgegangen. Allerdings habe ich wohl eine ganz andere Ansicht, da ich in einer anderen Branche gearbeitet habe. Ich habe in der Informatik gearbeitet und war eigentlich damit beschäftigt Arbeitsplätze zu ersetzen oder effektiver zu machen.
Stellen wir uns also vor ich schreibe eine Software, die in einer Woche alle Supermarktkassen automatisiert. Eine andere Software, die den kompletten Autobauprozess frei von menschlicher Arbeit macht (hier spekuliere ich übrigens gar nicht weit weg von der Realität). Ein Freund von mir arbeitet in der Gebäudetechnik und bald werden Fertighäuser in derselben Qualität aufgestellt werden, wie heutzutage Massivhäuser.
Was passiert also, wenn in 2 Jahren der Arbeitsmarkt so heftig implodiert, dass sich das heute keiner vorstellen kann?
Wir brauchen ein neues Modell.
Im Grunde mag ich diese Argumentation nicht, denn sie trifft nicht den Kern der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Die neue Idee ist ja allen Menschen, also nicht nur abhängig beschäftigten, diese Einkommen zu zahlen. Jeder soll nur noch die Arbeit machen, die er machen will. Denn dann bringt er auch eine Leistung, die den Arbeitgeber und den Kunden erfreut. Alle anderen "Zwangsarbeiter", die nur arbeiten, weil sie müssen, stören eh nur den gesunden Ablauf der Geschäfte und ruinieren eine Firma eher, als dass sie helfen.
Wer also denkt: Mit Grundeinkommen würden die Menschen nicht mehr arbeiten gehen, denn der Zwang fiele weg. Derjenige denkt eigentlich noch mit der Mentalität eines Sklavenhalters - nur mit subtileren Methoden.
Ich kann dieser Argumentation auch nicht folgen, dass man Menschen nicht mehr in die Arbeit bringen wollen würde, sobald das Grundeinkommen da wäre. Es wäre sozusagen eine Lebenslange Entschädigung fürs Abstellgleis. Die Menschen, die ich bis jetzt in meinem Leben traf sagten, dass sie sich selbständig machen würden. Sie würden ihre Ideen verwirklichen. Sie würden Schreiben, Erfindungen machen, soziale Arbeiten ausführen. Ich glaube, sollten wir das bedingungslose Grundeinkommen einführen werden wir staunen, mit was für einem Fleiß die Menschen arbeiten.... wenn sie nicht mehr dazu gezwungen werden.
Als Vertreter der humanistischen Psychologie und humanistischen Pädagogik sehe ich Zwang als Übel und demotivierend und deswegen hier meine Linksammlung zum bedingungslosen Grundeinkommen: :)
http://freiebildung.wordpress.com/tag/bedingungsloses-grundeinkommen/

Walter Böhme hat gesagt…

Herbert Marcuse war schon vor Jahrzehnten der Meinung, wir lebten in einer Überflussgesellschaft.
Er hatte leider nur den Fehler begangen, ein paar Milliarden Menschen bei der Überlegung auszuklammern. Heute ist das auch noch sehr beliebt.
Die Industrieländer haben sich bisher als völlig unfähig erwiesen, mit dem ihnen zustehenden Anteil an Rohstoffen und Energie auszukommen. Wer mit tausendfachem Energieaufwand eine zehnfache Arbeitsproduktivität entwickelt hat erst ein Prozent der Produktivität des anderen erreicht.
Das ist freilich ein längeres Kapitel. Ich setze mal ein Link hierhin, sehe aber ein, dass es damit nicht getan ist.
http://fontanefan2.blogspot.com/2007/12/wie-arbeit-billiger-werden-kann-ohne.html
Damit es leichter ist, mit Verweisen zu arbeiten, würde ich die Diskussion gern in ein Wiki verlagern. Ich habe unsere Diskussion daher in leicht gekürzter Form auf dieser Seite http://wiki.zum.de/index.php?title=Diskussion:Bedingungsloses_Grundeinkommen&action im ZUM-Wiki eingetragen, damit dort leichter die betreffenden Wikipedialinks eingesetzt werden können.
Du musst mir mit deinen Beiträgen nicht dorthin folgen, aber für mich ist es dann einfacher mit den Links.

Anonym hat gesagt…

(Jetzt hat blogger meinen letzten Kommentar zerschossen - die Tücken der Technik :) )
Wir gehen mit unseren Ressourcen verschwenderisch um - und die meisten Ressourcen sind nicht einmal unsere, sondern sind anderen Völkern "abgerungen" oder würden eigentlich auch unseren Kindern gehören - die fragen wir aber nicht.
Da gebe ich Dir vollkommen Recht.
Ich sehe aber leider nicht den Zusammenhang, wie das BGE hier negativ in die Waagschale fällt. Für mich löst das BGE sogar noch ein paar Probleme in dieser Richtung - z.B. wir müssen nicht an alten Industrien und unproduktiven verschwenderischen Methoden festhalten, nur damit Arbeitsplätze erhalten bleiben. Ich glaube es würde sich eine neue, biologisch verträglichere Arbeitswelt etablieren können, sobald die Menschen vom Zwang befreit sind irgendwas zu arbeiten, nur damit sie etwas arbeiten.
(Auf der Wiki-Seite hat ja jemand noch einen Verweis ins BGE-Forum gesetzt, der bestimmt noch für Klärung sorgen kann; vielleicht noch präzisieren, denn ich habe sehr viel unspezifisches dort gefunden, was in meinen Augen nichts klärt)

Anonym hat gesagt…

Allerdings sehen wir schon, dass es wirklich nicht so einfach ist die Thomas Manns, Vygotskijs und Eiichiro Odas dieser Welt von Sachzwängen zu befreien ohne alle anderen auch zu bedenken.

Andreas hat gesagt…

Mich würde mal ernsthaft interessieren, wieviele Buchautoren in Deutschland tatsächlich von den Tantiemen ihrer Bücher leben könne. Ich könnte mir vorstellen, dass das dürften nur wenige Dutzend, vielleicht ein paar Hundert sein. Und selbst die würden ohne Literaturpreise, Professorenstellen etc. wohl nicht so toll dastehen.