In ihrem Buch "Amok. Ursachen erkennen – Warnsignale verstehen – Katastrophen verhindern" räumt Britta Bannenberg, Professorin für Kriminologie, zunächst mit zwei Vorurteilen auf, die allerdings zum Glück nicht mehr weit verbreitet sind:
1. Ein Amoklauf, wie er inzwischen wiederholt auch an deutschen Schulen aufgetreten ist (Winnenden, 2009, Erfurt, 2002 u.a.), ist keine Tat aufgrund eines unmittelbaren Affekts, sondern von langer Hand vorbereitet.
2. Wer an einen Amoklauf denkt, wirkt überhaupt nicht aggressiv, sondern sehr unauffällig. Und dennoch gibt es typische Kennzeichen eines Amokläufers, die schon Jahre vor der Tat darauf hindeuten, wer zum Amokläufer werden könnte. Und es gibt Mittel zur Vorbeugung.
Bevor sie darauf zu sprechen kommt, arbeitet sie freilich sorgfältig ab, was man über Amok sonst noch wissen sollte.
Das Buch ist hauptsächlich für Eltern und Lehrer gedacht, denn: „In der Schule ergibt sich das größte präventive Handlungspotential.“ (S.94) Weshalb das so ist, das ergibt sich aus der besonderen psychischen Konstitution potentieller Amokläufer und aus der Entstehung des Motivs für den Massenmord.
Potentielle Amokläufer sind zurückhaltend und still und haben erstaunlich oft Angst vor Gleichaltrigen, besonders vor körperlichen Auseinandersetzungen. In der Familie werden sie nicht vernachlässigt, oft haben sie Geschwister ohne psychische Probleme. Weil sie wenig aggressiv sind, schlagen sie bei Kränkungen nicht zurück, doch – und da beginnt die gefährliche Entwicklung – sie empfinden schon kleine Hänseleien und normale Kritik als schwer wiegenden persönlichen Angriff. Das wäre, wenn es ein Einzelfall bliebe, nicht weiter schlimm, denn die meisten Menschen reagieren gelegentlich überempfindlich. Problematisch wird es, wenn sich daraus eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entwickelt, das heißt, dass der Betreffende sich für eine Ausnahmebegabung hält, die besonders viel Anerkennung verdiene. In diesem Stadium empfindet er schon jede normale Behandlung als Verkennung und als Beweis der Unwürdigkeit der anderen Menschen. Nicht der Narziss hat Defizite, sondern all die, die seine Ausnahmepersönlichkeit nicht erkennen oder ihn gar zu kritisieren wagen.
Da er auf diese Weise nie die Anerkennung erhält, die er verdient zu haben glaubt, träumt er davon, durch eine Ausnahmetat all seine Kritiker ins Unrecht zu setzen. In dieser Phase droht die Gefahr, dass er sich mit Amokläufern, von denen er hört, identifiziert, ihre Taten in Gedanken nachspielt und möglichst perfekt nachzuahmen versucht. Immer natürlich in der Vorstellung, einzigartig zu sein und keines Vorbildes zu bedürfen.
An dieser Stelle ist es verhängnisvoll, wenn er die Gelegenheit bekommt, monate- und jahrelang mit Computerspielen vom Typ Counterstrike und den vielfältigen Fortentwicklungen zu üben, sich in die Rolle des gnadenlosen Killers einzufühlen und mit Softairwaffen das virtuell Geübte auch in der Realität zu erproben. Denn dann fehlen ihm nur noch die echten, großkalibrigen Waffen, damit er auch ohne besondere körperliche Fähigkeiten zum Massenmörder werden kann.
Bei dieser letzten Schwelle ist es besonders gefährlich, wenn Väter Waffenbesitzer sind und ihre Waffen nicht ordnungsgemäß verwahren oder sogar den Sohn, weil es sonst so wenig Beziehungspunkte mit ihm gibt, in den Gebrauch der Waffen einführen.
Aufgrund dieser Analyse kann Britta Bannenberg ihre Empfehlungen zur Prävention geben.
Zunächst weist sie darauf hin, dass selbstverständlich niemand bei einem Zwölf- oder Dreizehnjährigen voraussagen kann, ob er einmal zum Amokläufer wird oder nicht. Aber jedes Kind und jeder Jugendliche, das oder der Angst vor Gleichaltrigen hat und der sich oft extrem benachteiligt fühlt, kann es gebrauchen, wenn seine Persönlichkeit gestärkt wird und wenn ihm Wege, zu Erfolgserlebnissen zu kommen, gezeigt werden. Also gelte es, so Bannenberg, besonders auf die unauffälligen und unzugänglichen Schüler zu achten und zu verhindern, dass sie sich ausgeschlossen fühlen. Dazu bedürfe es einer Atmosphäre gegenseitigen Verständnisses. An dieser Stelle verweist sie besonders auf Dan Olweus und sein Gewaltpräventionsprogramm.
Damit erschöpft sich das Buch freilich durchaus nicht. Was besticht, sind besonders die – anonymisierten – Beispiele von Texten, in denen sich später Amokläufer aussprechen, die Belege dafür, dass die meisten Amokläufer im Vorfeld irgendwie und oft erstaunlich genau darauf hinweisen, was sie vorhaben. Hier wird deutlich, wie viel Schüler zur Prävention tun können und wie wichtig es ist, dass diese Schüler Lehrer kennen, denen sie sich anzuvertrauen bereit sind.
Was das Buch zu einem praktischen Ratgeber macht, sind die Diagnoseinstrumente zur Beurteilung der potentiellen Gefährlichkeit von Personen, die Gewalttaten ankündigen, und die Hinweise, wie man sich auf einen Ernstfall vorbereiten und im Ernstfall vorgehen sollte. Schließlich die Ratschläge, wie man mit den von einem Amoklauf Betroffenen umgehen sollte (hier kommt PTBS zur Sprache). Nicht zuletzt die Hinweise, wie Massenmedien Nachahmungstäter anregen oder aber hilfreich Einfühlung in die Situation der Betroffenen ermöglichen können.
Alles in allem ist das Buch keine angenehme, aber eine lohnende Lektüre und für die, die Präventionsprogramme angehen, auch ein nützliches Nachschlagewerk.
Hinweise:
Dieser Artikel ist zuvor auf ZUM-Buch erschienen.
Interview mit Britta Bannenberg (ca. 5 Min.) (Dank an Ursel für den Tipp!)
Zu den Folgen eines aktuellen Amoklaufes
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