9.11.12

Ist Google mächtiger als China?

In der ersten Kollegstunde des Funkkollegs "Medien - Wirklichkeit 2.0" wird Claus Leggewie mit einer provozierenden Aussage zitiert: "Ich glaube, dass Google mächtiger ist als China".
Wenn man Macht als die Fähigkeit versteht, "Ziele zu erreichen, ohne sich äußeren Ansprüchen unterwerfen zu müssen" (Wikipedia), liegt er in seinem Glauben sicher falsch. Denn Google hat gegenüber China nachgegeben, gegenüber den USA und sogar gegenüber Bettina Wulff.
Doch wenn man Macht als "Macht über" (im Sinne von E.O. Czempiel als "kluge Macht") versteht, nämlich als die Fähigkeit,  "auf das Verhalten und Denken von Personen und sozialen Gruppen einzuwirken" (ebenfalls Wikipedia), dann hat Google diese Fähigkeit wohl in einem größeren Umfang als die chinesische Regierung, weil es schon mehrere Milliarden fortwährend beeinflusst.

Die erste Machtdefinition hat man auch als die Fähigkeit, nicht lernen zu müssen, und insofern als "dumme Macht" bezeichnet. Von dieser Macht hat der angeblich mächtigste Mann der Welt, Obama, unsäglich wenig (während G.W. Bush davon erstaunlich viel hatte). Wenn Obama nur direkt auf seine Ziele losgesteuert wäre und sich dabei auf einen engen Beraterkreis von Leuten seines Meinungspektrums verlassen hätte, wäre er gewiss gescheitert. So ist es ihm immerhin gelungen, als erster schwarzer Präsident der USA seine Wiederwahl zu erreichen und einen - kleinen - Teil seiner Ziele.
Bush war erfolgreicher im Zerstören, Obama erfolgreicher darin, trotz schwindender harter Macht ("Macht zu") der USA, andere Personen dazu zu bringen, das zu tun, was in seinem Sinne ist. Nicht Bush hat die Demokratisierungsversuche des arabischen Frühlings ausgelöst.

Doch in der Fähigkeit "neue Strukturen [zu] schaffen, die den eigenen Interessen besser dienen" (kluge Macht) bleibt Obama weit hinter Google zurück. Das liegt freilich daran, dass Google sich weitgehend auf die Strukturen beschränkt, auf die es unbeschränkten Einfluss hat, während Obama mehr "Macht zu" brauchte, um die Ziele zu erreichen, die er sich während seiner Feldarbeit in Chicago gesetzt hatte. Weit mehr "Macht zu", als sie ein intelligenter Präsident der USA je haben wird.
Die Tragik eines wohlmeinenden Präsdenten der USA liegt darin, dass er für - nahezu - unendlich viel Verantwortung übernehmen muss, was er nicht will, wenn er auch nur einen kleinen Teil dessen erreichen will, was seine eigentlichen Ziele sind.
Das ist freilich die Situation jedes verantwortlichen Politikers, für den das Erreichen seiner Ziele oberste Priorität hat.
Gustav Heinemann ist einen anderen Weg gegangen und hatte als oberste Priorität, auch als Politiker nichts verantworten zu müssen, was er für absolut unverantwortlich hielt. Das bedeutete freilich für lange Zeit eine Abstinenz von zentralen politischen Positionen. Und Bundeskanzler hätte er bei dieser Einstellung gewiss nicht werden (oder zumindest nicht länger als 100 Tage bleiben) können.

Heinemanns Einstellung ist vorbildlich, aber für einen heutigen US-Präsidenten kann sie es kaum sein.

Ich glaube, dass Obama in seiner ersten Amtszeit schwere Schuld auf sich geladen hat, aber dass kein anderer Mensch, von dem wir wissen, von den USA und von unserer Welt so viel Unheil abgehalten hat, wie es ihm schon in seiner ersten Amtszeit gelungen und für die zweite Amtszeit zu hoffen ist. (Dazu vgl. FR vom 9.11.12 und 8.11.12)

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