29.3.09

Orientierung bieten

Ich behaupte einmal - und folge damit Jean-Pol Martin, der sich freilich auf die Sekundarstufe II konzentriert -, dass für alle Schüler ab der Pubertät die drei Themen Ohnmacht, Sexualität und das Böse interessant sind und dass derjenige von ihnen positiv wahrgenommen wird, der ihnen auf diesen Gebieten Orientierung bieten kann. Schließlich sind diese Themen ja auch für einen sehr hohen Prozentsatz der Erwachsenen zentrale Erfahrungen. Man kann an Finanzkrise, Internet und Terrorismusdrohungen denken; aber auch die Faszination eines Falles wie Fritzl erklärt sich - angesichts des abstoßenden Gegenstandes wesentlich daraus, dass diese drei Themen in diesem Fall so stark miteinander verbunden sind.
Seine Überlegung: Wenn man in diesen Bereichen Orientierung anbieten kann, werden die Schüler bereit sein, auch recht schwierige Aufgaben anzugehen, weil sie stark motiviert sind.
Bei der Behandlung von Ohnmacht der Schüler wird man nicht bei der Beschreibung ihrer Abhängigkeit von Eltern und Lehrern stehen bleiben. Vielmehr kann ein Umschreiben eines Gedichts von Bürger, wie es Herr Rau in seinem Blog Lehrerzimmer getan hat, Vergleichbarkeit und Unterschiede zwischen der Ohnmacht eines Untertans im 18. Jahrhundert und eines Schülers im 21. fasslich werden lassen.
Das heißt aber auch, dass Sexualität nicht so primitiv-plakativ wie in den heutigen Medien angegangen werden muss. Das ergäbe keine Orientierung. Vielmehr betrachtet er in seinem Beispiel sexuelle Anspielungen aus dem 18. Jahrhundert. (Und mit Bayly (Die Geburt der modernen Welt, 20o6) könnte man darauf eingehen, dass nach neueren historischen Untersuchungen der Autoritätsverfall der königlichen Familie wesentlich dadurch bewirkt wurde, dass Marie Antoinette, der Ausländerin, jahrelang sexuelle Libertinage nachgesagt worden war, dass überhaupt weniger rationale Argumentation, sondern eine wüste Verleumdungskampagne die Autorität des Königs unterminierte.)
Schließlich braucht das Böse nicht bei den jeweils aktuellen Skandalen gesucht zu werden, auch wenn man das Allerweltsverständnis von Böse nicht übergehen sollte, sondern man kann es durchaus am Beispiel der Versuchung zur Selbstüberhebung betrachten. Hierzu geben tatsächlich Investmentbanker ein erstes Beispiel, aber anspruchsvoller wird es, wenn die Versuchung des Mächtigen, Menschen (gegen Kants Forderung) nur noch als Instrumente zu gebrauchen, in den Blick genommen wird. Das kann etwa am Beispiel des Marquis Posa geschehen, der seinen Freund instrumentalisiert (gedanklich anspruchsvoller als eine Betrachtung Albas oder Philipps II.), aber auch an Hanna im Vorleser, die ihren jugendlichen Geliebten als Vorleser instrumentalisiert.
In all diesen Fällen darf man aber nicht Schulstoff behandeln wollen, sondern muss man Orientierung anbieten können und bei der Art der Behandlung des Stoffes sehr stark auf gegenseitige Erklärungen der Schüler untereinander setzen, wie es etwa im Unterrichtskonzept Lernen durch Lehren geschieht.

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