Diesmal am 4.11.11 in der FAZ: Rettet die Würde der Demokratie
Sein Buch über eine Verfassung für Europa soll bald bei Suhrkamp herauskommen.
Zitat 1:
"Beide driften auseinander – die Systemimperative des verwilderten Finanzkapitalismus, den die Politiker selbst erst von der Leine der Realökonomie entbunden haben, und die Klagen über das uneingelöste Versprechen sozialer Gerechtigkeit, die ihnen aus den zerberstenden Lebenswelten ihrer demokratischen Wählerschaft entgegenschallen."
Dies Auseinanderklaffen ("an endemic conflict between capitalist markets and democratic politics") ist nach Wolfgang Streek, auf dessen Analyse sich Habermas beruft, der Normalzustand des "demokratischen Kapitalismus", der nach 1945 in Westeuropa und Nordamerika mit dem Bretton-Woods-System von festen Wechselkursen begründet wurde. Die 25 Jahre von 1945 bis 1970 seien die durch die Aufbausituation nach dem 2. Weltkrieg begründete Ausnahme gewesen.
Zitat 2:
"Langfristig scheint die gegenwärtige Krise ohnehin keinen anderen Ausweg zu lassen als die überfällige Regulierung der Banken und der Finanzmärkte. Den reuevollen Absichtserklärungen der G-20 auf ihrem ersten Treffen im Jahre 2008 in London sind keine Taten gefolgt."
Dass diese Regulierung nicht stattgefunden hat, führt Habermas freilich nicht auf mangelnden guten Willen der einzelnen Regierenden zurück, sondern darauf, dass die Institutionen für eine übernationale Willensbildung fehlten. Um die notwendigen Institutionen zu schaffen, bedürfe es einer neuen "Anbahnung eines verfassungsgebenden Prozesses". Die würde freilich "ein Engagement verlangen, das von den Routinen des Machtopportunismus abweicht und Risiken eingeht".
Meine Kommentare dazu habe ich weitgehend schon seit längerem formuliert:
1. Wir brauchen eine Europäische Öffentlichkeit, denn sie ist die Voraussetzung dafür, dass europäische Gesamtinteressen gegen nationalstaatliche abgewogen werden können.
2. Wir brauchen keinen Rettungsschirm für die Demokratie, denn unsere Demokratie hat eine höhere Legitimation als die, dass sie dem Finanzkapital optimale Entfaltungsmöglichkeiten bietet. (Zur Sicherung dieser Entfaltungsmöglichkeiten dienen nämlich die Rettungsschirme, die freilich die Staaten voneinander isolieren und damit die in ihrer Gesamtheit wirtschaftlich gesunde Eurozone angreifbar machen.)
Habermas hat meiner Meinung nach zwar weitgehend Recht, nur übergeht er zum einen das Problem, dass Institutionen ohne kontrollierende Öffentlichkeit in korrupte Diktaturen abgleiten. (Europäische Öffentlichkeit!)
Zum andern unterstellt er, dass es allein europäischer Institutionen bedürfe. Für weltweite Regelungen bedarf es, wenn man seiner Argumentation folgt, Institutionen für eine weltweite Willensbildung.
Ich sehe dafür drei Kristallisationspunkte:
1. Internationale Nichtregierungsorganisationen wie z.B. Greenpeace uns attac
2. Organisationen, die übernationale weltweite Willenskundgebungen über Internet organisieren, wie z.B. avaaz
3. weltweite Demonstrationen vor Ort mit übernationalen Zielsetzungen wie z.B. Occupy Wall Street.
(dazu vgl. Politische Beteiligung)
Freilich, der Weg zu erfolgreicher an übernationalen Zielen ausgerichteter Willensbildung ist weiterhin noch weit.
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